von Iris Maaß
brotjob oder toxischer job?
Um das zu tun, was man liebt, musst Du nicht Deinen bisherigen, gewöhnlichen Beruf aufgeben. Die eine hat vielleicht Glück und arbeitet in ihrem Traumjob. Bei vielen stellt sich mit der Zeit heraus, dass der eigene Job vielleicht nicht alle Träume erfüllt, die sie ans Leben haben, sondern hauptsächlich zum Brötchenverdienen beiträgt. Trotzdem kann ein Brotjob einen wichtigen Beitrag zu einem wunderschönen und erfüllten Leben leisten, auch wenn er suboptimal im Hinblick auf Deine Leidenschaften erscheint. Ich unterscheide zwei Arten von Jobs: die toxischen, die Dich krankmachen, und Jobs, deren Fehler darin besteht, dass sie Dir nicht gut genug sind.
Toxische Jobs sind brandgefährlich
Toxisch bedeuted giftig und sagt bereits aus, was einen toxischen Job ausmacht: es handelt sich dabei um einen Job, der Dich vergiftet. Der toxische Job, muss gemieden werden wie ein Haus, das in Flammen steht. Da gibt es keine lange Diskussion: Wenn Du drinsitzt, lauf raus so schnell es geht. Wenn du in eine andere Abteilung wechseln kannst, um zu entkommen, ziehe es in Betracht. Wenn ein interner Wechsel nicht möglich ist, oder Dich nicht aus der Schusslinie bringt, dann ist dies das einzige Mal, wo ich rate, einen Job zu kündigen und zu gehen.
Normalerweise gibt es viel mehr Möglichkeiten Probleme im Job zu entschärfen oder zu verbessern. Aber ein wirklich giftiger Job wird Dich irgendwann so krankmachen, dass Du ihn nicht mehr verlassen kannst. Die Krankheit entsteht durch die wachsende Wut und den Schmerz über die Ungerechtigkeit. Wenn Du sie in Dir behältst, kann sie zu einer Depression führen, aus der Du nur schwer wieder herauskommst.
Schieb Deinen Fluchtplan aus einem toxischen Job nicht auf die lange Bank, denn ein wirklich giftiger Arbeitsplatz schwächt Dich von Tag zu Tag. Beginne gleich damit, Dir Deine Exitstrategie zu überlegen und die ersten kleinen Schritte zu unternehmen. Schon diese Tat wird Dich stärken und Dir den Glauben an Deine Zukunft zurück geben, so dass Du wieder mehr Kraft bekommst.
Woran erkennst Du einen toxischen Job?
Wenn Du einen giftigen Job hast solltest Du Dich von ihm zurückziehen wie von einem gefährlichen Raubtier. Frag nicht lange herum, ob andere glauben, dass der Job giftig ist oder nicht. Wenn Du Dich sehr unglücklich fühlst, wenn Du Dich gedemütigt und abgekanzelt fühlst, dann ist er giftig. Einige der Kennzeichen für ein vergiftetes Arbeitsumfeld und damit einen toxischen Job sind:
- Mobbing durch Kollegen
- Schikane durch den Vorgesetzten (Bossing)
- Extreme Überstunden über lange Zeiträume
- Fehlende oder ungebührliche Kommunikation, mangelnde Transparenz, Du wirst von wichtigen Informationen ausgeschlossen oder man redet despektierlich mit Dir
- Sexuelle Belästigung oder körperliche Gewalt
- Gefahr von körperlicher wie seelischer Verletzung oder Tod aufgrund mangelnder Arbeitssicherheit
- Es wird verlangt, etwas Illegales zu machen
Wenn eines oder sogar mehrere dieser Kriterien auf Deinen Job zutreffen, dann solltest Du ihn sofort verlassen. Der Schaden, den er in Dir anrichtet, ist nachher nur schwer zu reparieren.
Manchmal erkennst Du nicht gleich, dass der Job giftig ist. Zunächst hoffst Du vielleicht, dass Du es in den Griff bekommt oder es sich nur um Anlaufschwierigkeiten handelt. Aber sei ehrlich zu Dir. Wenn Du merkst, der Job ist giftig, dann gestehe Dir das ein und ergreife sofort die erforderlichen Maßnahmen.
Bevor Du verhungerst, kannst Du natürlich jeden Job annehmen, bei dem kein hohes Risiko besteht, dass er Dich umbringt, aber fang sofort an, Deine Flucht zu planen und nach anderen Möglichkeiten zu suchen.
Dein Brotjob ist Dein getreues Lasttier
Der zweite - der Brotjob - hat alles, was Du so zum Leben braucht, außer dass er nicht die Arbeit beinhaltet, die Du am meisten liebst. Ein solcher Job zeichnet sich durch folgendes aus:
- Er hat annehmbare Arbeitszeiten,
- nette Kolleg:innen und Kunden
- stellt absolut erfüllbare Anforderungen an Dich.
- Vielleicht erfordert er sogar die ein oder andere Fähigkeit von Dir, die von Kolleg:innen und Vorgesetzten geschätzt wird.
Das Schlimmste, was Du über den Brotjob sagen kannst, ist, dass er einfach nicht genug ist.
Trotzdem könnte Dein Brotjob der perfekte Job für den Moment sein.
Ein Good-enough Job reicht nicht aus für ein erfülltes Leben
Wenn der gemütliche Brot-Job aber wirklich alles ist, was Du in Deinem Leben tust, dann wäre das gegen die Grundauffassung von Machen und Wachsen. Du bist nicht auf der Welt, um Jahre mit Arbeiten oder Themen zu verbringen, die Du nicht liebst. Wenn Du in dieser Situation verharrst, wird Dich das auch irgendwann deprimieren.
Ein Brotjob ist gut genug, um Deine Brötchen zu verdienen. Er sollte nie alles sein, was Du tust, so wie eine nette, wohlhabende Tante nicht Deine einzige Freundin sein sollte. Der Brotjob ist nur Deine Basis, damit Du Dir um Miete und Essen keine Sorgen machen musst. Aber die Freiheit, das zu entdecken, was Du am meisten liebst, musst Du Dir trotzdem nehmen.
Betrachte den Job, der gut genug ist, als Subventionsquelle der Dein Herzensprojekt bezahlt. Deine Zeit außerhalb des Brotjobs kannst Du nutzen, um das zu tun, was Du liebst. Der Brotjob ist nicht glamourös. Er ist kein Porsche, sondern eher ein nüchterner Kombi. Er wird Dich Deinem Ziel näherbringen.
Sollte man nicht mit dem Geld verdienen, was man am meisten liebt?
Wirst du jemals Geld mit dem verdienen können, was du liebst? Und ist das nicht das Ziel jeder Passion, dass sie sich bezahlt macht? Eines Tages vielleicht schon. Manche Menschen schaffen es, ihre Liebe in eine glänzende Karriere zu verwandeln, vorausgesetzt, sie setzen ihre Vorhaben um, wachsen an Ihren Erfahrungen und machen auf sich aufmerksam. Wenn du das tust, was Du liebst, wirst Du meist früher oder später richtig gut darin.
Dass Du etwas besonders liebst, ist eine Botschaft Deines Talents. Die meisten Filmemacher:innen machen zum Beispiel schon Filme, seit sie eine Kamera halten können. Das Gleiche gilt für erfolgreiche Rockbands, Entertainer:innen oder Schriftsteller:innen - ganz zu schweigen von Wissenschaftler:innen, Archäolog:innen, Erfinder:innen und Künstler:innen. Leidenschaft für etwas ist also Anzeichen für Talent. Und Talent ist ein Geschenk an alle Menschen. Du schuldest es der Welt, dass Du auch für die Entfaltung Deines Talents sorgst.
Trotzdem ist es eine Erleichterung, dass Du nicht gleich mit Deiner Passion Geld verdienen musst. Wenn Du nämlich dazu gezwungen bist, dann musst Du Dein Angebot gleich an möglichen Kund:innen ausrichten. Das kann dazu führen, dass Du Deine Vision nicht so umsetzt, wie Du sie Dir vorgestellt hast. Du musst es anderen schmackhaft zu machen, bevor Du für Dich selbst herausgefunden hast, wie und was Du eigentlich in die Welt bringen möchtest. Deswegen kann es sehr vorteilhaft sein, wenn Du die Last des Finanziellen zunächst oder vielleicht auch dauerhaft über eine andere Tätigkeit tragen kannst, die nicht so sehr mit Deinem Herzen verbunden ist.
Viele Menschen haben einen Brotjob genutzt um darauf ein erfülltes und spannendes Leben aufzubauen.
Alexander von Humboldt beispielsweise arbeitete als Beamter in einer Bergbaubehörde, bevor er dank einer Erbschaft sein Lebenswerk als Forschungsreisender begann. Er setzte das von seiner Mutter ererbte Vermögen für die Finanzierung seiner Reisen ein und erfüllte sich damit seinen lang gehegten Lebenstraum. Es ist die Ironie der Geschichte, dass er zuvor als sehr kränklich galt, aber dann angesichts der Realisierung seines Herzensprojekt auch gesundheitlich so aufblühte, dass es ihm nichts ausmachte, zu Fuß die höchsten Berge zu besteigen.
Von Albert Einstein ist bekannt, dass er ab 1902 sieben Jahre lang im Patentamt Bern arbeitete, wo er in der Hautarbeit eher trockene Patentprüfungen durchführte. Kaum aber, dass er diesen festen und sicheren Beruf angetreten hatte, begann er, sich in Bern mit Studierenden der Philosophie und Mathematik zu treffen und lebte alle seine intelektuellen Interessen aus. Fünf seiner wichtigsten Werke schrieb er in Nebentätigkeit zu seiner eigentlichen Angestelltenposition beim Patentamt.
Der Maler Henri Rousseau nahm nach seiner Militärzeit eine Stelle beim Pariser Zoll an, wo er viele Jahrzehnte als Warenkontrolleur arbeitete. Nicht gerade ein Traumjob. In seiner Freizeit brachte er sich selbst das Malen bei, beschaffte sich eine Lizenz, um im Louvre berühmte Bilder zu kopieren und fand die Inspiration für seine berühmten Jungelbilder im botanischen Garten von Paris. Viel Geld verdiente er nicht, so dass er sich Reisen in exotische Länder nicht leisten konnte. Seiner Kunst tut das keinen Abbruch. Er wurde zu einem der herausragendsten französischen Künstler, der viele andere Maler:innen inspirierte.
Die afro-amerikanische Schriftstellerin Toni Morrison schrieb Ihre Romane früh morgens am Küchentisch. Sie nutze die Zeit bevor die Familie wach wurde und sie alle versorgen musste, um mit Bleistift auf einem gelben Block Ihre Geschichten aufzuschreiben. 1970 entstand so ihr erster Roman "sehr blaue Augen". 18 Jahre später hat sie für ihre weiteren Werke eine Pulitzer Preis gewonnen.
Vielleicht gewinnt nicht jede einen Preis, und man kann nicht im Vorfeld sagen, ob sich die Leidenschaft auszahlt, aber auch heute gibt es jeden Tag Gründungen von vielversprechenden Unternehmen im Nebenerwerb, beginnen Menschen damit, etwas zu machen, was Ihnen wichtig und wertvoll erscheint, wozu sie ganz ohne die Aussicht auf finanzielle Reichtümer motiviert sind.
Das Basislager für Deine wundervolle Lebensreise - ein Plädoyer für den Brotjob
Dein Leben ist eine lange Reise. Du kannst es mit einer Bergbesteigung vergleichen. Du erreichst das Hauptziel nicht in einem Rutsch, sondern planst vielmehr verschiedene Etappen und Zwischenziele ein. Ein Brotjob ist wie ein Basislager, dass Dich bei Deiner Bergtour unterstützt und dass Dich auffängt und Ressourcen bereithält.
Deine normale, unaufregende und routinierte Gut-Genug-Arbeit bringt Dir Freiheit. Diese Freiheit, das zu tun, was Du liebst, ist eine großartige Chance, um Dich erstmal auszuprobieren, bevor Du Deine Passion gegebenenfalls zu Deinem Hauptberuf machst. Finde heraus, wie sehr Du etwas wirklich liebst. Vielleicht ist es nicht die große Karriere, die Du Dir erhofft hast, und vielleicht wird das, was Du liebst, nie zu einer Geldquelle werden. Es ist gut, den Freiraum für die Beschäftigung mit Deinen Herzensprojekten ohne Druck zum Geldverdienen zu haben. Dafür hast Du Deinen Brotjob.
Wenn Du also einen Job findest - oder schon hast -, der gut genug ist, solltest Du ihm verzeihen, dass er nicht so aufregend ist. Danke ihm dafür, dass er sich um Dich kümmert, damit Du herausfinden kannst, was Du wirklich gerne tust, oder damit Du ein Herzensprojekt umsetzen kannst
Freue Dich, wenn Du einen guten Brotjob hast und genieße und nutze die Freiheit, die Dir daraus erwächst.